Samstag, 14. Mai 2011

Poetry Slam

Wie hatte ich mich auf diesen Abend gefreut. Zum ersten Mal konnte ich einer größeren Menge drei meiner selbstgeschriebenen Werke präsentieren. Aufgeregt war ich nicht, der Tag stand am Abend zuvor unter einem guten Stern. Ich war mir sicher, es würde toll werden.
Der aufmerksame Leser wird bereits gemerkt haben, dass der Konjunktiv die ersten Zeilen beherrscht. Leider muss ich ihn an dieser Stelle verwenden, da aus dem erhofften Auftritt leider nichts wurde. Am gestrigen Morgen war ich nämlich krank. Unverhofft und unerwartet. So ließ ich die Schule mal ausfallen und damit eben leider auch einen Auftritt.
Um in diesem Beitrag trotzdem etwas präsentieren zu können, folgt die Kurzgeschichte die ich vorgetragen hätte, wenn ich nicht krank gewesen wäre – Konjunktiv finde ich toll :)


Fünfzehn

An der ersten Haltestelle stieg er ein. Er setze sich auf einen Platz in der Mitte des Busses. Dieser setzte sich langsam wieder in Bewegung. Der Mann zog den Reißverschluss seiner Jacke hinunter, jedoch nur so weit, dass man nicht sehen konnte, was sich darunter verbarg. Er machte ein angestrengtes Gesicht, als er die anderen Menschen um sich im Bus ansah. An der zweiten Haltestelle stiegen weitere Leute ein und es würden noch mehr werden, das wusste er. Er betastete den Gurt um seinen Oberkörper, mit dem die Bombe befestigt war. Er würde sie zünden, das war sein Auftrag. Würde er ihn erfüllen und somit Ungläubige eliminieren, würden zweiundsiebzig Jungfrauen im Paradies auf ihn warten. An den Haltestellen drei, vier und fünf stieg niemand ein oder aus. Er freute sich auf das Paradies, auf die Schönheit und den Frieden, die dort herrschen würden. Angst hatte er nicht. Er wusste, es würde nicht wehtun, er würde es gar nicht spüren. An der sechsten Haltestelle stieg eine junge Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm ein. Es sah ihn kurz an und lächelte ein Kinderlächeln. Er lächelte zurück. Zum ersten Mal hatte er Zweifel an seinem Auftrag. Wie konnte ein so junges Kind ein Ungläubiger sein? Glaubte es überhaupt etwas? Und wenn, wusste es dann, an wen oder was es glaubte, oder hatte man es ihm nur so beigebracht? Würde er für den Tod eines solch kleinen Wesens verantwortlich sein? Wieder betastete er den Gurt. An der Bombe befanden sich zwei Knöpfe. Einer für den Auslöser, ein zweiter, um die Bombe zu entschärfen – für den Notfall, falls er in Schwierigkeiten geriet und sie schnell loswerden musste. Entschärft konnte sie auf den Boden fallen, ohne vielleicht doch zu detonieren. Drei Haltestellen dachte er darüber nach, bis er an der neunten war. Der Bus füllte sich immer mehr und war vom Stadtzentrum nicht mehr weit entfernt. Unter den neuen Fahrgästen befand sich ein Faschist. Er war nicht schwer zu erkennen, Leute wie er wollen als die erkannt werden, die sie sind. Missbilligend sah ihn der Rechte an. Ausländer raus! war wohl sein erster Gedanke. Den Mann kümmerte dies nicht weiter. Sein Entschluss stand fest. Solche Menschen müssen wirklich eliminiert werden und es gibt davon noch mehr, ob sie sich nun als solche zeigen oder nicht. Die meisten Menschen sind böse. Er würde seinen Auftrag erfüllen. Gefühle für ein ihm fremdes Kind durfte er als Gotteskrieger nicht empfinden. An der fünfzehnten Haltestelle würde er den Knopf für den Auslöser betätigen. An der dreizehnten Haltestelle wurde er zunehmend nervöser. Nicht, weil er Angst hatte, sondern weil er bald im Paradies sein würde. Nur noch zwei Haltestellen, dann war es soweit. An der nächsten stieg genau vor ihm eine Gruppe Kindergartenkinder ein. Die fröhlichen Gesichter grinsten ihn an. So viel Freude auf einmal hatte er noch nie gesehen. Ihm kamen fast die Tränen, bei der Vorstellung, Unschuldige zu töten. Ja, sie waren unschuldig. Sein Blick huschte wieder zu dem Faschisten. Und wieder zu den Kindern. Er wusste nicht, was er tun sollte. Der Name der fünfzehnten Haltestelle wurde schon angesagt. Als der Bus zum Stehen kam, betätigte er einen Knopf.

Meine erste und bisher einzige Kurzgeschichte, weitere sollen folgen.

Liebe Grüße, liebe Leser

Lio

3 Kommentare:

  1. Zu schade, dass du krank warst. Ein kleiner Bericht wäre cool gewesen. :)Da hoff ich doch mal, dass es dir langsam besser geht.

    Eine gut geschriebene Geschichte. Das Ende ist toll gelungen durch das bewusste offenlassen wofür er sich nun entscheidet, den Gewissenskonflikt; auch der Titel ist passend gewählt. Ein paar Absätze wären nicht schlecht gewesen für den Lesefluss. Nur das mit den 72 Jungfrauen... naja, humoristisch ganz witzig, aber sonst...ich glaube nicht, dass irgendein Terrorist es wegen den 72 Jungfrauen tun würde. ;)
    Der Schreibstil ist nichts außergewöhnliches, auf jeden Fall verbesserungsfähig, aber auch nicht grauenvoll, da hab ich schon schlimmeres gelesen (was da so an FFs im Internet rumgeistert >.> Und wenn ich nur daran denke, die beherschen wirklich die einfachsten Regeln nicht). Das gute an KGs ist ja, dass man sich an ihnen sehr gut ausprobieren kann, anders als bei längeren Romanen, oder Novellen.

    Wie lange schreibst du schon? Also hast du schon was anderes geschrieben (ich weiß nicht, wenn es ja deine einzige KG ist, aber du hattest eine längere Geschichte, soweit ich mich erinner (?))

    lg, Nashi. :3

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  2. Ja, mir ging es am nächsten Tag wieder gut. War sehr ärgerlich, weil ich vor Auftritten nie krank bin :/

    Danke für deine Kritik. Die 72 Jungfrauen sollten sozusagen die Motivation für ihn sein. Naja, vermutlich nicht die beste Wahl, aber die KG entstand auch für über einem Jahr ;)
    Für Verbesserungsvorschläge hinsichtlich des Stils bin ich immer offen.

    Also bisher habe ich zwei Gedichte verfasst, wovon eines auf hier auf dem Blog zu finden ist (und die englische Übersetzung für Freunde). Ansosnten diese KG und eine weitere mal für das Fach Ethik. Könnte ich eigentlich auch mal hochladen ;)
    Angefangen hab ich mit 12, weil ich mir da dachte "Lass mal ein Buch schreiben". Tja, der Schreibstil von damals und auch die Handlung waren ziemlich schlecht. Aber das Buch existiert noch, jedoch muss ich die Passagen verbessern und eben auch weiterschreiben. Aber das wird schon^^

    LG, Lio :3

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  3. Ja, wegen des Stils. Ich zum Beispiel, liebe parataktischen Satzbau und so Zeugs. Aber soviel helfen kann ich da nicht, du musst halt verschiedenstes mal ausprobieren. Vielleicht mal ganz blumig und ausgeschmückt, oder total nüchtern, je nachdem, was auch das Thema ist. Lass mal alle Adjektive raus etc, einfach experimentieren. (Btw, falls du Lust hast, kannst du ja mal in dem Schreibforum vorbeischauen, in dem ich bin.*neein, ich mach gar keine Werbung xD* http://scriptorium.forumieren.com/ )
    *hust hust*

    Ach ja, das erste Buch...da hängen bei mir so viele Erinnerungen dran. Da werd ich ganz sentimental.^^

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